Sitzstück No.13: Der luftige Grenzgänger

Der Diamond-Chair schwebt wie eine Skulptur im Raum. An diesem Sessel wird deutlich, dass Harry Bertoia immer mehr Bildhauer und weniger Designer war.

Ein Künstler schaffte sich seine finanzielle Unabhängigkeit mit dem Entwurf von heute weltberühmten Möbelstücken. Kalkül war das
wohl nicht, doch seine filigranen Entwürfe trafen den Nerv ihrer Zeit. Als Verkaufsschlager der 50er Jahre können sie heute ihren Status als Klassiker behaupten.

Nun geht sie wieder los, die Diskussion über die Grenzen zwischen Kunst und Gestaltung. Denn unser Sitzstück No.13 ist ein perfekter Anlass, die Trennung zwischen der freien Kunst und des „unfreien“ Objektdesigns mal wieder aufzuweichen.

Der Diamond-Chair von Harry Bertoia ist nämlich ein Grenzgänger. Mit seiner linken Kufe steht er als federleichte Metallskulptur auf dem Terrain der freien Kunst. Seine rechte Kufe hingegen betritt das Land des Objekt-Designs. Die Funktion des Diamond-Chair ist offensichtlich. Er ist ein Sessel auf dem wir gut sitzen können. Seine Form allerdings ist nicht etwa das Resultat ökonomischer Erwägungen wie z.B. mögliche Gewicht- oder Materialersparnis. Vielmehr ist sie das Ergebnis eines bildhauerischen Experimentes.

Ein Metallgitter bewegt sich von der Fläche in den Raum

Als Bertoia das Sitzstück No.13 erdachte, hatte er keinen schweren, repräsentativen Klotz im Sinn, der seine Umgebung ignoriert. Im Gegenteil, das Möbel musste eine Zwiesprache mit dem Raum eingehen, ebenso, wie es Bertoias Metall-Skulpturen tun. Dennoch ist der Diamond-Chair keine „zweckfreie“ Kunst im strengen Sinne. Das wäre er nur dann, wenn wir ihn seines Zweckes beraubten, z.B. indem wir ein Brett mit zehn Zentimeter langen Nägeln auf seiner Sitzfläche deponierten. 

Die Grenzen zwischen der bildenden Kunst, der Architektur und des Objekt-Designs sind in der Vergangenheit schon so oft experimentell überschritten worden, dass hier ohnehin keine klaren Linien mehr gezogen werden können und auch nicht sollten. Der gebürtige Italiener Harry Bertoia schaffte in den 50er-Jahren den interdisziplinären Spagat, in den schon vor ihm viele Architekten und bildende Künstler gesprungen waren. Bertoia hatte jedoch nicht dauerhaft das dringende Bedürfnis Möbel zu entwerfen, sondern nutzte sein Design schließlich als Befreiung.

Die Künste bilden Schnittmengen

1930, im Alter von fünfzehn Jahren, verließ er zusammen mit seiner Familie Italien und ging in die USA. Vier Jahre lang studierte er Malerei und Bildhauerei an der technischen Hochschule in Detroit und übernahm dort 1936 ein Lehramt. Aber nur ein Jahr später setzte er seine eigenen Studien an der Cranbrook Academy of Arts in Bloomfield Hills in Michigan fort. Der finnische Designer Eliel Saarinen hatte sie 1932 gegründet. Dort wird er wiederum Dozent und richtet ein Metallwerkstatt ein. Diese muss jedoch im Kriegsjahr 1943 wegen Materialknappheit geschlossen werden.

Indes konnte Bertoia beachtliche künstlerische Erfolge feiern. Eine Serie von hundert Grafiken (Monotypien, Monoprints) schickte er dem "Guggenheim Museum of Non – Objective Paintings". Der Direktorin Hella Rebay gefielen seine Arbeiten so gut, dass sie einige für sich selbst und viele weitere für das Museum erwarb. Noch im selben Jahr stellte die Solomon Guggenheim Foundation 19 dieser Grafiken in einer Gruppenausstellung aus, an der unter anderen auch Lásló Moholy-Nagy teilnahm.

Bertoias Bekanntschaften mit Charles Eames, der unsere Sitzstücke No.4 und No.10 stellte, sowie Florence und Hans Knoll brachten ihm sowohl kreativen als auch geschäftlichen Erfolg. Denn nachdem Bertoia einen Ausflug ins Schmuckdesign gemacht hatte, konzentrierte er sich auf Möbelentwürfe. Überzeugt von seinem Können, holten die Knolls Bertoia auf ihre Kosten nach Pennsylvania und ließen ihm vollkommene finanzielle und künstlerische Freiheit. „Arbeite an was Du willst. Sollte dabei ein Möbel entstehen – umso besser” – traumhafte Bedingungen, die bald Früchte trugen.

Ein Sessel fast nur aus Luft – der Raum strömt durch ihn hindurch

Unser Sitzstück No. 13, den Diamond-Chair, entwarf Harry Bertoia 1952. Er war Teil einer kleinen Reihe von Sitzmöbeln, die Florence und Hans Knoll für ihn produzierten und vertrieben. Sein muschelförmiges Drahtgeflecht sollte eigentlich maschinell gefertigt werden, doch bald stellte sich heraus, das Handarbeit die aufwändige Schweiß und Biegearbeit besser leisten kann. Der Diamond-Chair wurde schnell zu einem riesigen Erfolg und machte seinen Designer Bertoia finanziell unabhängig.

Bald ließ er das „Designen“ ganz und konzentrierte sich auf die Bildhauerei. Beauftragt von vielen der großen Architekten seiner Zeit, entwarf er mehr als 50 Skulpturen für öffentliche Plätze und Gebäude. Ab den 60er Jahren dann – bis zu seinem Tode 1978 – widmete er sich ausschließlich seinen klingenden Metallskulpturen. Mit diesen „sounding sculptures“ bespielte er zehn CDs, die er „sonambient“ nannte. Fast 100 dieser Skulpturen stehen noch heute in seiner Scheune in Barto Pennsylvania. Seine Witwe Brigitta veranstaltet ab und zu kleine Konzerte für Besucher.

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