Blick über den Tellerrand: Ganz in Weiß – Eine Nachlese

Nicht nur das kreischend bunte Kinderzimmer für zukünftige Neurotiker, die Hightech-Porsche-Küche für den ganz schnellen Koch oder auch der umweltfreundliche Solar-Leucht-Eimer machten die IMM 2008 sehenswert.

Weiß! Es leuchtete weiß um jede Ecke. Leder, Kunststoff, Holz, Fell, Mikrofaser, Porzellan, Pappe. Weiß ist trendy! Das wissen wir aber nicht erst seit gestern. Neuwagen wurden schon im letzten Jahr besonders gerne in weiß bestellt. Unverständlicher Weise zunächst, denn nichts sieht oller aus, als ein fieser, matschiger Schmierfilm auf weißem Lack. Dennoch strahlte die Internationale Möbelmesse 2008 aus allen Knopflöchern, mit Feudeln und Läppchen dem Grauschleier wacker trotzend.

Fuhr die Rolltreppe nun auf- oder abwärts? In der Erinnerung verschwimmen die einzelnen Ebenen des Hallen-Universums, tut auch nichts zur Sache. Denn die relative Nähe der 11 und der 2 ist im ganz speziellen Falle der IMM 2008 nicht nur räumlich, sondern auch mental eine ganz heikle Angelegenheit.

Hühnerdraht und Vanilleeis 

Die Halle 11 gehört traditionell den ganz Großen wie Vitra oder Zanotta. Zanotta speziell beeindruckte durch enorme Lässigkeit. Die wird den Italienern ansich ja ohnehin nachgesagt, doch Zanotta scheint sie tatsächlich zu leben. Im engen Entrée des verschachtelten Standes lümmelte sich ein eleganter Herr, rechts das Handy, links die Zigarette, auf einem erfreulich schlichten Sofa. Kommunikation von Angesicht zu Angesicht? Offenbar nicht erwünscht. 

Rücken an Rücken mit Zanotta hatte sich EMU angesiedelt, die mit zwei Stücken von Jean-Marie Massaud für den "interior innovation award cologne" nominiert waren. Das ist ein Sack voller Gründe, die Nase ein bisschen höher zu tragen, doch keine Spur davon. Kein Lümmeln, kein Handy. Aufmerksam, höflich und locker wurde umsorgt, gehegt und gepflegt, was sich an EMUs scheinbar schwebende Drahtkonstruktionen heranwagte.

Direkt gegenüber musste sich Vitra dem Anstrum der Designjünger erwehren. Im Zentrum des sehr offenen und durchlässigen Standes trohnte der Lounge Chair von Charles Eames. Doch die Sessel-Legende empfing nicht wie üblich in gediegenem Schwarz, sondern in leicht gebrochen weißem Leder. Ganz im Trend, aber hat er das nötig? Er sah ein bisschen aus wie ein großer Klatsch Vanilleeis in einer zarten Waffel.

Plastik-Ikonen und Puzzle-Perser 

Und als wollte es seinem berühmten Vorbild einen mokanten Gruß schicken, winkte aus der nahe gelegenen Halle 2 sein Plastik-Pendant. Dort, wo sich die so genannten "Jung-Designer" dem d3 (the young designers competition) stellten, hatte nämlich auch der Berliner Dirk Winkel seine Entwürfe oder besser seine demokratisierten Ikonen ausgestellt. Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe und Charles Eames hätten vielleicht sogar ihren Spaß an den stapelbaren Discount-Versionen ihrer heute musealen Stücke.

Den alljährlich ausgelobten Wettbewerb gewonnen haben die ironisch zwinkernden Stapelmöbel des Berliners leider nicht. Ein
eher konventioneller Stuhl des Schweizers Raphael von Allmen machte das Rennen.
Doch die Juroren schauten natürlich nicht nur auf die Origininalität der
Entwürfe. In Zukunft verkaufbar müssen sie natürlich auch sein, was für
die Lampen von Mark Braun (2.Platz) vermutlich eine sichere Bank ist. Der Puzzle-Perser von Katrin Sonnleitner (3.Platz) hingegen wird sich wohl nur als Kombi-Pack mit Knieschonern zu einem Renner entwickeln.

Alles fließt in Weiß

Einige Aussteller der Halle 2 bestachen allerding nicht nur durch sehr originelle Entwürfe, sondern auch durch sehr viel Eifer. Ganz im Gegensatz zu den saturierten Stars der internationalen Szene hingen sie sich wirklich rein. Es wurde Portfolios gewälzt, vorgeführt, erklärt, auf- und abgebaut. "Glauben Sie denn, die Leute aus der Halle 11 würden mal hier herunter kommen und sich unsere Sachen ansehen?", so der in Thailand ansässige Florian Baptist Gypser ein wenig resigniert. Ganz Unrecht hatte er wohl nicht, doch sicher waren auch einige "Spione" inkognito unterwegs. Der Zweisitzer "Panta Rhei" des jungen Designers dürfte ihnen dann wohl aufgefallen sein, denn er präsentierte sich – ganz im Trend – fleißend leicht und natürlich weiß.

Den renommierten "interior innovation award cologne 2008" gewann sodann natürlich auch ein weißer Sessel. Mit dem Titel "Best of the Best" in der Kategorie "Best Item" trug Thomas Pedersen seinen von einem im Wasser schwebenden Rochen inspirierten "Stingray" (auch in schwarz erhältlich) nach Hause. Stücke die in der Vergangenheit diesen Preis erhielten, waren für gewöhnlich heiße Anwärter für den Red Dot Award und den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland.

Kleines Ding schlägt lange Wellen

Was so ein kleiner IPod lostreten kann. Schon 2001 kam Apple mit der Farbe Weiß zurück, die jahrelang ein absolutes No-No war. Zu kalt, zu steril, zu ungemütlich, zu empfindlich; außer Porzellan, Arztkitteln, Wänden und Zähnen durfte nichts weiß sein. Noch vor kurzem war es nahezu unmöglich, ein weißes Auto zu verkaufen, heute ist die Nicht-Farbe das neueste Attribut der Oberklasse. In Bezug auf die Klassiker des Mödeldesigns ist Weiß eigentlich ein alter Hut, denn viele Stücke wie z.B. der Wassily von Marcel Breuer oder der RAR von Charles Eames werden schon seit Jahrzehnten so angeboten. Viele Kunststoff-Entwürfe der 60er und 70er Jahre sind nur in weiß denkbar. Der Trend bringt also keine Neuigkeiten, Weiß erlebt lediglich eine Rennaissance. 

Seit einiger Zeit nun können sich sogar weiße Cowboystiefel und weiße Lederkrawatten wieder ungestraft auf die Straße wagen. Das darf mögen, wer will, doch gerade angesichts der Lederkrawatten zeigt sich, dass starke Farbtrends bis in die letzten Winkel unseres Lebens krauchen. Wenn wir sie lassen.

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