Antoni Tàpies – Zeichen und Materie

Das idyllische Schloss Moyland nahe Kleve kann mit einer Ausstellung wuchern, wie es sie seit 7 Jahren in unseren Gefilden nicht gegeben hat, denn seither hat keines der großen Häuser in Deutschland eine Einzelausstellung von Antoni Tàpies gezeigt.

Zuletzt widmete das Haus der Kunst in München im Jahre 2000 dem Katalanen Antoni Tàpies eine große Retrospektive. An Kraft und Spannung haben die Arbeiten des mittlerweile 84 Jahre alten Künstlers bis heute nicht verloren. Mit Spachteln, Kratzwerkzeugen und großen Quasten hinterlässt er auf monumentalen Formaten von teils mehr als drei Metern Breite seine unverwechselbaren Zeichen.

Die Stiftung Museum Schloss Moyland verwaltet die weltweit größte Sammlung von Arbeiten des Kunst-Dogmatikers Joseph Beuys , doch das hat erst einmal nichts zu sagen, wenn es um Tàpies geht. Die Tatsache, dass er in diesen Räumen ausstellt, heißt noch lange nicht, dass sein Werk Gemeinsamkeiten mit dem von Beuys hat. 

Anerkennung ist nicht gleich Ähnlichkeit

Doch immer wieder zielten die Fragen auf mögliche Ähnlichkeiten.
Ron Manheim, stellvertretender Direktor der Stiftung Schloss Moyland und Kurator der Ausstellung "Antoni Tàpies – Zeichen und Materie", wollte sich im Pressegespräch am 9.08. nicht auf einen Vergleich einlassen. Dies tat er bestimmt aus gutem Grund, denn Parallelen zwischen den beiden sehr gegensätzlichen Künstlern ließen sich nur an den Haaren herbei ziehen. Natürlich wissen bzw. wussten sie voneinander, schätzten sich wohl auch. Als Beuys 1986 starb, grüßte der introvertierte Tàpies den "öffentlichen" Mann mit dem Filzhut mit der Arbeit "Bonjour Monsier Beuys". Zu Joseph Beuys' Lebzeiten gingen sie sich jedoch aus dem Weg. 

Im Katalog zur Ausstellung nimmt Franz Joseph van der Grinten, der Sammler und Stifter des Beuys-Archives, in einem furchtbar verquasten Aufsatz das Kreuz-Symbol zum Vergleich. Vordergründig ist das ein logischer Ansatz, denn in beiden Werken taucht diese Form häufig auf. Doch das Kreuz in seinen vielen Varianten ist nicht erst seit gestern als universelles Zeichen bekannt, das lange vor und besonders außerhalb des Christentums eine wesentliche Bedeutung hat.

Antoni Tàpies' Zeichen sind ebenso eindeutig wie rätselhaft

Arbeiten der letzten zwanzig Jahre, große Materialbilder, Druckgrafiken und Plastiken zeigt die kleine aber sehr feine Ausstellung im Schloss Moyland. Kräftige, der informellen Malerei sehr nahe Strukturen aus Firnis, Marmorstaub, Sand und dicken Farbschichten wechseln sich ab mit feinen transparenten Farbverläufen und spontan aufgebrachten Zeichen. Die Faszination dieser Arbeiten erklärt sich vermutlich zunächst daraus, dass der Betrachter Bekanntes entdeckt:

Der schwarze Scherenschnitt einer Badewanne z.B., die elegant auf ihren "Löwentatzen" steht, aber dennoch so schwer wirkt, als sei sie aus Granit gemeißelt. Ihr dreidimensionales Pendant steht einen Raum weiter. Es ist weiß und aus gebrannten Schamotte-Ton. Fußabdrücke, Fingerspuren, Hände, Augen, Buchstaben und Zahlen finden sich in Tàpies Arbeiten ebenso, wie Knochen, stilisierte Möbelstücke, Türen und immer wieder das Kreuz. Jede kalligrafische Spur, die Gegenstandszeichen und die "Körperfragmente" bringen ihre formalen Qualitäten, aber meist auch vielschichtige inhaltliche Andeutungen mit.

 

Katalane und intellektueller Weltbürger

Seine Chiffren und Bezüge z.B. auf den katalanischen Philosophen Ramon Llull erklären sich teils aus tief greifenden persönlichen Erfahrungen. Antoni Tàpies, geboren 1923 in Barcelona gilt als einer der
bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Als Katalane steht er in der
Tradition von Picasso, Mirò und Dali.
Er erhält eine streng katholische
Erziehung, wächst in gut situierten Verhältnissen auf und wird in
seiner geistigen Entwicklung beeinflusst durch die politischen
Anschauungen seiner Eltern: die Mutter bürgerlich-konservativ, der
Vater (Rechtsanwalt) Mitbegründer einer linksorientierten katalanischen
Partei.

Tàpies studiert zunächst Rechtswissenschaften, bricht aber
aufgrund eines zweijährigen Krankenhausaufenthaltes das Studium ab und
wendet sich der Malerei zu. Die wechselvolle Geschichte seines Landes –
der spanische Bürgerkrieg, sowie der zweite Weltkrieg und die
Franco-Diktatur – hat entscheidenden Einfluss auf seine politische
Einstellung.

Sein intensiver Engagement für ein freies Katalonien spiegelt sich
bis heute in seinen Arbeiten wieder. Mal deuten die Spuren von vier
Fingern die vier Streifen der katalanischen Flagge an, doch manchmal
wird Tàpies deutlich und hinterlässt genau die vier roten
"Bluts-Streifen" auf leuchtend gelbem Grund, die heute die
Flagge Kataloniens bilden.

In Barcelona und auf seinen
Reisen lernt er die maßgeblichen Künstler seiner Zeit kennen.
Wesentliche Impulse erhält von den Dadaisten wie Marcel Duchamp und
Kurt Schwitters, von den Surrealisten in Spanien und Frankreich, von
Paul Klee und Max Ernst. "Das wenige, was ich damals von Schwitters und vor allem von Marcel Duchamp kennenlernen konnte, faszinierte mich so stark, dass es mit Sicherheit bleibenden Eindrücke hinterlassen hat und wohl jahrelang unterschwellig auf mich gewirkt hat." (1) so Tàpies über das "absurde Potenzial" der dadaistischen Kunst.

Darüber hinaus zeigen sich in seinem Werk
Einflüsse der spanischen Mystik, der katholischen Religion und der
östlichen Philosophien, mit denen er sich intensiv auseinander setzt.
Er ist vertraut mit den Schriften, die um die Jahrhundertwende
erscheinen (Sigmund Freud, C.G.Jung), denen von Marx und Engels und der
naturwissenschaftlichen Literatur.

Tàpies ist weder ein gegenständlicher noch ein informeller Maler

Seit den 50er Jahren durchzieht das Werk Tàpies' ein mehr oder weniger festes Zeichenrepertoire. Vielfältige Zahlen- und Buchstabensymbole tauchen sowohl in seinen frühen, von den Fotografien Brassais inspirierten schweren, krustigen "Mauerbildern", als auch in den leichten, transparenten "Firnisbildern" der späten 80er und 90er Jahre auf. Verschiedenste Kreuz-Formen sind fast immer zu entdecken. Nun könnt man glauben, dass Antoni Tàpies ein besonders christlicher Künstler ist, der in seinem Werk Hinweise auf seinen Glauben hinterlässt. Jedoch würde man den umfassend gebildeten Katalanen mit dieser Deutung gründlich missverstehen, denn er setzt das Kreuz meist sehr bewusst in einer Doppelfunktion einerseits als formales Element und andererseits als universelles Symbol ein. 

Ein sehr altes heiliges Zeichen für den Mittelpunkt der Welt, die alles berührende Sonnenkraft und den Regen ist T-Kreuz. Auch Tau-Kreuz (nach dem griechischen tau = T) oder Antonius-Kreuz genannt, fungiert es bei Tàpies als eines der Zeichen mit den interessantesten Parallelen zum Künstler selbst. Diese Kreuzform ist das Kennzeichen des Wüstenvaters Antonius des Großen, einem Franzikaner. Sowohl das Initial seines Nachnamens als auch die Gleichheit des Vornamens, lässt darauf schließen, dass Tàpies das T-Kreuz nicht nur aus bildgestalterischen Gründen, sondern auch als Anspielung auf seine Person in sein Zeichenrepertoire aufgenommen hat. Oft tritt es in Verbindung mit einem umgestürzten A (Antoni) auf.

Widerspruch und Konsequenz 

In "Gespräche mit Antoni Tàpies" von Barbara Catoir (1987) widerspricht sich Tàpies jedoch mehrfach, wenn die Frage auf "seine Kreuze" kommt.

Einerseits:"…, es gibt keine direkten Bezüge zur sakralen Kunst. Das religiöse Phänomen, von dem ich spreche, hat allerdings auch sehr wenig mit den offiziellen Religionen zu tun." (2)

Andererseits:"Ich sehe, dass das Bild mit diesem Zeichen eine bestimmte Kraft bekommt…A als Anfang, als Begrenzung, T als eine Stilisierung des Gekreuzigten und auch als Initial meines Namens, wie ein Zusammentreffen von Koordinaten usw." (3)

Der Betrachter muss also selbstständig und eigenverantwortlich seine Schlüsse ziehen, ohne sich die Interpretation des Künstlers auf einem Silbertablett liefern zu lassen. Das wird ihm angesichts der faszinierenden Bilder und Skulpturen von Antoni Tàpies nicht schwer fallen.

Als Anker bleibt vielleicht Hans Sedlmayr:"Die Antwort auf unsere Frage kann man nicht in dem suchen, was moderne Künstler über ihr Kunst selbst zu sagen wissen…Wer die Antwort auf die kardinale Frage dem Selbstbewusstsein moderner Künstler entnehmen will, wird sich in einem Gestrüpp von falschen und richtigen Selbstdeutungen ausweglos verirren." (4)

Zitatnachweise und Anmerkungen:

1. Antoni Tàpies, zitiert nach: Manuel J. Borja-Villel, "Celebració de la mel", in: Katalog zur Ausstellung "Tàpies – Celebració de la mel", Kunstverein St. Gallen, Kunstmuseum, 1992, S.22 

2. Barbara Catoir, "Gespräche mit Antoni Tàpies", München 1987, S.75

3. ebda., S.98 

4. Hans Sedlmayr, "Die Revolution der modernen Kunst", Köln, 1985, S.11

 

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